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Transparenz als Treiber für Innovation und Eigenverantwortung

Dezentralisierte Wertschöpfung braucht finanzielle Transparenz

Der Schlüssel zu effizienter Entscheidungsfindung und nachhaltiger Wertschöpfung in modernen Organisationen

von Stefan Willuda
10.12.2024

Ein kleines Team von Anwendungsentwickler:innen möchten eine Konferenz mit anerkannten internationalen Speaker:innen besuchen. Können sie buchen? "Das muss der Chef entscheiden." In einem Kundengespräch bittet der Kunde die Kundenbetreuerin um eine kleine Anpassung an den Modalitäten des Angebots, die das Auftragsvolumen des Angebots sowie die Zahlungszeitpunkte verändern. Kann die Kundenbetreuerin zustimmen? "Da muss ich die Chefin fragen." Und so geht es täglich. Hunderttausendfach. In tausenden von Unternehmen. Allein in Deutschland. Wie kommt es zu diesem lähmenden Entscheidungsstau? Was kann dagegen getan werden? 

Kontrahenten wider Willen

Das Spiel folgt den immergleichen Regeln. Menschen, die etwas von ihrem Fach verstehen, möchten eine Entscheidung mit finanziellen Konsequenzen treffen.  Doch sie dürfen nicht. Sie sind dazu nicht autorisiert - oder fühlen sich so, denn ihnen fehlt eine entscheidende Information für eine bedachte Entscheidung: Der Blick auf das Geld. "Haben wir genug Geld erwirtschaftet? Haben wir hinreichend Liquidität? Ist es wirtschaftlich ratsam?" 

Den Regeln des Spiels folgend wird der Entscheidungsbedarf "eskaliert", "eine Ebene höher platziert" - der Chef muss es richten. Mit etwas Glück versteht der Chef sowohl die fachlichen Belange als auch die finanzielle Perspektive. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass auch der Chef  keinen Einblick in die finanzielle Situation des Teams oder das Unternehmen hat. Wenn überhaupt existiert eine Vorstellung vom "eigenen Budget" - der (leider unzureichende) Versuch einer Näherung an die tatsächliche wirtschaftliche Situation des Teams. Doch häufig lassen sich Entscheidungsbedarfe auch mit einem Blick auf das Budget nicht beantworten - warum das so ist sehen wir gleich. Die Folge: Auch der Chef muss den Entscheidungsbedarf "eine Ebene höher platzieren". Doch spätestens dann fehlt in der Regel das Verständnis für die fachlichen Rahmenbedingungen des Entscheidungsbedarfes. "Muss das Team wirklich auf diese Konferenz? Ist diese den Preis wert? Gibt es nicht woanders eine günstigere Konferenz?" Es ist möglich, dass die mit dem Entscheidungsbedarf konfrontierte Führungskraft unterstellt,  das Team habe sich darüber keine Gedanken gemacht oder denke zuerst an den eigenen Spaß, als an das "große Ganze" - die Firma. Dann lieber nicht auf die Fachkonferenz fahren lassen! Und das Angebot anpassen - wie in unserem zweiten Beispiel dieses Textes? Gehen damit nicht Risiken einher, die sich gar nicht abschätzen lassen? Was wäre wenn alle Kunden plötzlich Anpassungen fordern? Dann gibt es keinen Standard mehr. Also: Das Angebot lieber nicht anpassen. 

Fragen Teams "ein paar Ebenen höher" nach Geld, ist die Antwort häufig "Nein", denn die Abwägung wird einseitig. Je weniger Einblick die Entscheidenden in den fachlichen Nutzen haben, desto bedeutender werden in der Nutzen-Kosten-Abwägung die Kosten. Gleichzeitig werden häufig Nicht-Entscheidungen, also das erhalten des Etablierten, das Nicht-Abweichen von der Norm, bevorzugt. Denn daraus ergibt sich kein Veränderungsbedarf. Veränderungsbedarfe sind in zentral gemanagten Organisationen in der Regel aufwändig. Sie binden Aufmerksamkeit von ohnehin schon eingespannten Personen. Das wird ebenfalls von Entscheidenden als "Kosten" dem Nutzen gegenübergestellt. 

Auf der Team-Ebene stellt sich die Situation häufig genau umgekehrt dar. Fehlt der Einblick in die finanziellen Rahmenbedingungen der Wertschöpfung, wird der Nutzen einer Maßnahme im Vergleich zu den Kosten zu hoch bewertet. Es ist den Bewertenden häufig nicht klar, wie viel Geld tatsächlich verdient wird und wie viel Liquidität vorhanden ist. 

Den Regeln dieses Spiels folgen entstehen aus diesem "oben und unten" im Unternehmen Kontrahenten wider Willen. Die Teams sind misstrauisch ihren Chefs gegenüber, denn "die haben von den echten Themen vor Ort keine Ahnung und sagen immer 'nein'." Die Chefs sind ihren Teams gegenüber misstrauisch, denn "die denken immer nur an sich und achten nicht auf das Geld, als würde es vom Himmel fallen." 

Aus dieser konstruierten Gegnerschaft entstehen für die Unternehmen etliche Nachteile. Nicht nur sind die Menschen im Umgang miteinander weniger wohlwollend, auch dauern Entscheidungen lange und Anpassungen an die Rückmeldungen vom Markt erfolgen selten so schnell und konsequent, wie dies erforderlich wäre. Die Wertschöpfungsfähigkeit der Organisation leidet. 

Beschimpft nicht die Spieler, ändert die Spielregeln

Ein Unternehmen, das seinen Finanzen nicht im Griff hat, läuft entweder in die Insolvenz oder investiert weniger als es könnte. In den Unternehmen scheint sich eine faszinierende Paradoxie einzustellen: Entscheidungen zu dezentralisieren führt zur Mittelverschwendung durch die Teams aufgrund von Egoismen und dem fehlenden Blick für das große Ganze, während die Zentralisierung von Entscheidungen durch Top-Manager auf der Grundlage von Plan-Ist-Vergleichen, langen Entscheidungswegen und unzureichende oder späte Anpassungen an den Markt ebenfalls verschwendungsreich ist. 

Wie kann ein Unternehmen aus dieser Verschwendungsfalle ausbrechen? 

Prüfen wir zunächst die Annahmen der geschilderten Paradoxie. Unter welchen Bedingungen verhalten sich Teams verschwenderisch, egoistisch und ohne einen Blick für das große Ganze? Wenn ihnen der Blick tatsächlich fehlt. Wenn ihre Leistungen entkoppelt sind von der Wertschöpfung des gesamten Unternehmens. Wenn sie keine Vorstellung von dem Wert ihrer eigenen Leistungen und der bezogenen Fremdleistungen haben. Und unter welchen Bedingungen kommt es zu unwirtschaftlichen zentralen Plan-Ist-Vergleichen, langen Entscheidungswegen und langsamen Anpassungszyklen? Wenn die finanzielle Wahrnehmungsoberfläche der Unternehmung so lückenhaft ist, dass die Lenkung des Unternehmens durch Planung und Kontrolle als der einzig mögliche Weg der Unternehmensführung vorstellbar ist. 

Ändern wir die Validität dieser Annahmen, erhalten wir bisher verborgene Gestaltungsoptionen. 

Das oben geschilderte Paradox lässt sich durch die konsequente Erzeugung finanzieller Transparenz auflösen. Das zuvor beobachtete Team wüsste, wie viel Geld es erwirtschaftet und welche finanziellen Reserven es aufgebaut hat. Und die Kundenbetreuerin wüsste über die Marge auf dem Angebot und über die Liquidität ihres Teams bescheid. Sie würde die Zahlungsverpflichtungen kennen, die das eigene Team eingegangen ist und die finanzielle Historie dieses Kunden. Kurzum die Personen mit dem unmittelbaren Entscheidungsbedarf hätten sowohl den fachlichen Nutzen als auch die für eine Entscheidung relevanten "Kosten" zur Hand. Eine Entscheidung kann so schnell getroffen werden. Ohne "Eskalation", ohne "Springen über Ebenen". 

Strukturelles Empowerment durch Systemgestaltung

Aus der Sicht der Betroffenen eine sehr ermächtigende und befriedigende Erfahrung. In einem Kunden kann sich ein Gefühl von Partnerschaftlichkeit auf Augenhöhe und Verbundenheit einstellen, wenn auf sein Anliegen schnell und umsichtig reagiert wird. Das Entwicklungsteam kann schnell und situationsgerecht zu einer Entscheidung kommen, ohne Sorge vor Abhängigkeit und Willkür. Auch die Menschen, die bisher die Adressaten der "Entscheidungseskalation" waren, profitieren. Sie werden nicht mehr in Zwangslagen gebracht, in denen sie Entscheidungen treffen müssen, zu denen der Kontext fehlt. Die eigene Arbeit wird weniger operativ und kann sich auf die langfristige Organisationsentwicklung konzentrieren. 

Budgets sind keine finanzielle Transparenz

Natürlich müssen Unternehmen - wie bereits anerkannt - ihre Finanzen im Blick behalten. Die allermeisten Unternehmen versuchen dies durch Kostenkontrolle. Sie bedienen sich dabei des Einsatzes von zentral vorgegebenen Budgets. Auf der Grundlage einer Prognose der Geschäftsentwicklung und in Fortschreibung der vergangenen Geschäftsjahre werden Kostenobergrenzen definiert und auf Bereiche, Abteilungen und Teams verteilt. Die Summe aller Budgets ist das Gesamtbudget. 

In der Praxis ist dieser Vorgang inzwischen ausgefeilter. Schon klar. Das Prinzip ist jedoch seit gut einem Jahrhundert unverändert. Man könnte sagen, es hat sich bewährt. 

Doch Budgets haben einige dicke Haken. 

Da sie auf Plänen über eine ungewisse Zukunft fußen, lassen sie in der Praxis unweigerlich entweder Potenziale liegen oder überdehnen die wirtschaftlichen Möglichkeiten einer Unternehmung. Überraschende und scharfe "Kurskorrekturen" sind dann häufig die Folge. Diese Art der Planwirtschaft ist schon vielfach berechtigt kritisiert worden. Es kann konstatiert werden, dass Budgets sich mal bewährt hatten, doch inzwischen kein geeignetes Vorgehen mehr sind. Zu dynamisch ist der Markt. Zu unsicher die Prognosen. Zu bürokratisch ist das Management. 

In diesem Text geht es jedoch um etwas anderes: Budgets schaffen keine handlungsleitende Transparenz über die finanzielle Situation eines Teams oder einer Organisation. Wenn Budgets überhaupt transparent sind - und das sind sie nur selten flächendeckend - dann verraten sie nichts über die aktuellen Einnahmen und Ausgaben. Budgets signalisieren nur, wie weit man von den geplanten Kosten entfernt ist. Sie fokussieren auf die Planeinhaltung. Selbst dann, wenn mehr Geld als geplant eingenommen wurde. Und Budgets laden dazu ein, Geld auszugeben, wenn es gar nicht erforderlich ist. Viele wissen Anekdoten zu erzählen von hektisch ausgegebenem Geld zum Ende eines Geschäftsjahres, weil keine Budgetkürzung im Folgejahr riskiert werden soll. Nicht abgerufenes Budget wird im Folgejahr gekürzt, so die unausgesprochene Weisheit. 

Budgets sorgen nicht für einen Blick auf den Markt oder auf den Kunden, sie sorgen für den Blick in das Unternehmen hinein. Menschen, die budgetieren, optimieren die Budgetierung, nicht die Leistungserbringung für Kunden. Sie fokussieren auf Kosten statt auf Leistungen. Sie blicken auf den internen Prozess mit seinen Akteuren statt auf die Kund:innen mit ihren Anliegen und Problemen. 

Plädiere ich dafür, Budgets abzuschaffen? Fordere ich nicht auch flächendeckende Transparenz der Finanzen ein? Genau. Beides. Das ist kein Gegensatz. Es ist der selbe Schritt. 

Das macht etwas mit den Menschen

In der Praxis zeigt sich, dass mit finanzieller Transparenz ausgestattete Teams sehr verantwortungsvoll mit den verfügbaren Mitteln umgehen. Menschen, die Zugang zu relevanten Finanzinformationen haben, sind in der Lage, Entscheidungen schnell und unbürokratisch zu treffen. Sie entwickeln ein Bewusstsein für die finanziellen Rahmenbedingungen und handeln oft überraschend sparsam, da sie die Auswirkungen ihrer Entscheidungen klar erkennen können. Statt verschwenderisch zu sein, achten Teams genau darauf, wie sie das Geld einsetzen, um die größtmögliche Wirkung zu erzielen. Diese Art der Transparenz fördert eine Kultur des bewussten und effizienten Wirtschaftens, was der gesamten Organisation zugutekommt.

Das in vielen Unternehmen gepflegte Vorurteil, dass die meisten Menschen mit diesen finanziellen Informationen nicht umgehen können, erweist sich als unbegründet. Menschen können durchaus Verantwortung tragen, wenn sie Einblick in die Finanzen des Unternehmens haben. Sie suchen eigenständig nach Möglichkeiten, Umsatz zu steigern oder Kosten zu reduzieren. Dabei entwickeln sie oft eine starke Eigeninitiative, um innovative Ideen zur Effizienzsteigerung oder zur Kostenminimierung zu realisieren. Diese Art der Verantwortung bedeutet auch, dass Mitarbeitende bewusst Entscheidungen treffen, die nicht nur ihrem Team, sondern der gesamten Organisation zugutekommen. Sie nutzen die zur Verfügung gestellten Informationen, um die wirtschaftlichen Auswirkungen ihrer Aktionen besser einschätzen zu können, und gehen so strategisch und zielgerichtet vor.

Zugleich muss diese Verantwortungsübernahme wachsen und geübt werden. Wir können nicht annehmen, dass einfach ein Schalter umgelegt werden könne und alle Menschen im Unternehmen seien sofort in der Lage mit allen Finanzzahlen zu arbeiten. Das spricht jedoch nicht gegen meinen Gedankengang. Es ist auch kein Argument für die Informationskonzentration bei einigen wenigen Top-Managern. Diese verstehen das Zahlenwerk keineswegs als Folge eines Naturgesetzes, sondern als Ergebnis langer Übung. Eine Übung, die auch die Teams zum Umgang mit Finanzzahlen befähigt.

Es gilt die Zahlen, deren Bedeutung und die Handlungen, die sich daraus ableiten, zu vergemeinschaften und den Umgang miteinander zu üben. Mitarbeitende müssen lernen, die Zusammenhänge zwischen finanziellen Kennzahlen und operativen Entscheidungen zu verstehen. Dies erfordert Lernräume und den  Austausch innerhalb der Teams. Die kontinuierliche Vermittlung und das gemeinsame Erarbeiten von Interpretationen führen dazu, dass die Mitarbeitenden immer  sicherer im Umgang mit finanziellen Daten werden und so ihre Entscheidungen fundierter treffen können. 

Die Teams nicht die Individuen

Möglicherweise kommt Ihnen jetzt beim Lesen dieser Zeilen eine Person in den Kopf, der sie es nicht zutrauen, gut mit finanziellen Kennzahlen umzugehen. Sie befürchten vielleicht, dass die Person die Zahlen nicht versteht, oder die falschen Schlüsse daraus zieht. Und die Befürchtung kann berechtigt sein. Ich lade ein, ein Team von Menschen als die Einheit zu betrachten, die mit den Zahlen effektiv und gewissenhaft umgehen muss, nicht die einzelne Person. 

Teams zeichnen sich dadurch aus, dass sich die Menschen in diesem "Gebilde" wechselseitig zur Leistungserbringung brauchen und einen Zweck der Zusammenarbeit teilen. Teams sind "sozial dicht". Es findet in ihnen viel Kommunikation statt. Das gelingt nur, wenn Teams klein sind. Nicht mehr als 8 Personen. 

In solchen Team-Gebilden kann ein konstruktives Gespräch über die finanziellen Kennzahlen sowohl des Teams als auch des Unternehmens stattfinden, selbst wenn einzelne Menschen in einem Team die Zahlen von sich aus nicht voll nutzen können. 

Wie Geld durch das Unternehmen fließt

Transparenz über die finanzielle Situation von Teams und des gesamten Unternehmens setzt voraus, dass den Teams klar ist, wie Wertschöpfung funktioniert. Sie müssen verstehen, wie sie als Team selbst Wert schaffen, wie sie dafür Geld erhalten und wie dies für das gesamte Unternehmen aussieht. Es ist erstaunlich, wie viele Teams zwar wissen, was sie tun sollen, aber nicht, wie die Wertschöpfung dazu aussieht. Sie wissen nicht, welche Leistungen sie zu welchen Preisen an wen abgeben und welche Leistungen sie zu welchen Preisen beziehen. Sie haben keine Vorstellung von den Preisen für Leistungen, die sie von anderen Teams beziehen, und auch nicht von Leistungen, die sie vom Markt einkaufen. Die Auseinandersetzung mit der eigenen Wertschöpfung als Team im Kontext der gesamten Unternehmung geht unweigerlich mit finanzieller Transparenz einher. Darin liegt der große Hebel für weniger Verschwendung und schnellere Abläufe.

Ohne diese Vorstellung von Wertschöpfung und Leistungserbringung ist eine produktive Unterscheidung zwischen Beschäftigung und Arbeit gar nicht möglich. Ohne ein genaues Verständnis von der eigenen Wertschöpfung - das schließt Geld ein - bleiben die Teams im Blindflug und sind zu guten wirtschaftlichen Entscheidungen nicht in der Lage. 

Es ist jedoch ein Fehlschluss, zu unterstellen, dass die Teams dazu grundsätzlich nicht in der Lage seien - ebenso, wie es ein Fehlschluss ist dass die Manager dazu grundsätzlich fähig seien. Wozu die Teams in der Lage sind, wird maßgeblich von den Rahmenbedingungen ihrer Kommunikation bestimmt. 

Leistungsvereinbarungen und Nahtstellen

Transparenz über die finanzielle Situation in einem Team und in der gesamten Unternehmung ist ein Katalysator für dezentrale, selbstorganisierte Leistungserbringung. Mit den Informationen zur Fachlichkeit und zu den Finanzen innerhalb der Teams können Entscheidungen schnell und dezentral getroffen werden. Mit der Schaffung der finanziellen Transparenz und dem wachsenden Verständnis zur eigentlichen Wertschöpfung können Leistungsbeziehungen in einem Unternehmen explizit gemacht werden. Was explizit ist, kann dezentral optimiert werden. Welche Leistungen braucht ein Team wirklich für die eigene Leistungserbringung? Welche Leistungen können "abbestellt" oder "nachverhandelt" werden? Gleichzeitig stehen die Teams ebenfalls unter dem produktiven sozialen Druck, gute Leistungen zu nachvollziehbaren Preisen für andere Teams zu erbringen.

Institutionalisierte Verschwendung wird sichtbar und, ganz ohne zentrales Kostensparprogramm, reduziert. Die Transparenz ermöglicht es, unnötige Ausgaben zu identifizieren und Abläufe effizienter zu gestalten, ohne dass hierfür zentrale Vorgaben gemacht werden müssen. Diese Art der kontinuierlichen Optimierung steigert die Effizienz der gesamten Organisation. Wenn Teams sich mehr über Leistungen und Wert unterhalten steigt auch die Effektivität der Organisation, da mehr vom Richtigen erbracht werden kann.

Team-interne Wertschöpfungsberichte stellen monetär bewertete, erbrachte Leistungen den erhaltenden Leistungen gegenüber. Dadurch entsteht auch Transparenz darüber, welche Leistungen von anderen Teams und welche direkt von Akteuren im freien Markt bezogen werden. Nicht erforderliche Leistungen können Teams in Frage stellen und systematisch reduzieren. 

Es entsteht Klarheit darüber, welche Teams Leistungen unmittelbar für Kund:innen im Markt erbringen und folglich auch externe Einnahmen erzielen - wir nennen diese Teams "Peripherie-Teams" - und welche Teams Leistungen ohne Marktkontakt - für andere Teams im Unternehmen - erbringen. (Mehr dazu in den Quellen

Gruppen von Menschen, die zwar organisatorisch zusammengefasst sind, die aber kein wertschöpfendes Team sind, tun sich mit dieser Transparenz schwer, da sie zwar Leistungen beziehen, aber keine Leistungen erbringen. Dieses Ungleichgewicht fordert eine Anpassung der Team-Zusammensetzung ein, ohne, dass eine große Reorganisation geplant werden muss. Dort, wo intensiv kommuniziert wird, entstehen Teams.  

Dort, wo Wertschöpfung zwischen Teams stattfindet, werden Nahtstellen  (Mehr dazu in den Quellen) sichtbar, die mit Leistungsvereinbarungen dokumentiert werden. Diese Leistungsvereinbarungen helfen, klare Leistungserwartungen zu setzen und die Verantwortlichkeiten zwischen Teams zu regeln. Dadurch werden Abhängigkeiten transparent und die Zusammenarbeit kann besser gestaltet werden. Die Nahtstellen bilden somit die Grundlage für eine reibungslose Zusammenarbeit und ermöglichen es, Leistungsprozesse gezielt zu verbessern.

Richtig gute Buchhaltung wird richtig wichtig

In vielen Unternehmen fristet die Buchhaltung eher ein  Schattendasein. Die rechtlichen Anforderungen an eine gute Buchhaltung sind hoch und lassen das Thema   "trocken" erscheinen. Buchhaltung muss funktionieren. Sie fällt nur auf, wenn sie das nicht tut. Das führt dazu, dass sie oft nicht als zentrale Stütze der Unternehmensführung wahrgenommen wird, sondern eher als notwendiges Übel, das es zu bewältigen gilt. Belastet wurde der Ruf der Buchhaltung durch zunehmendes Controlling und Reporting, das die Last der Zahlenerstellung dezentralisiert, um die Informationsdichte bei wenigen zentralen Positionen zu erhöhen. 

Erkennen Unternehmer:innen jedoch den Wert von finanzieller Transparenz, nimmt die Bedeutung der Buchhaltung zu. Sie wird für jedes Team ebenso relevant wie die IT, die das E-Mail-System bereitstellt. Verlässliche, aktuelle und handlungsleitend aufbereitete Zahlen werden zu einer essentiellen Infrastrukturleistung, die die Buchhaltung erbringt. Die Leistungen der Buchhaltung und auch des Controllings stellen sich in den unmittelbaren Dienst der Wertschöpfung. Sie ermöglichen Wertschöpfung, statt diese lediglich abzubilden.

In gewisser Weise benötigt die Buchhaltung damit auch Fähigkeiten der zeitgemäßen Produktentwicklung. Im transparenten Unternehmen geht es darum, dass die Teams mit den Zahlen arbeiten können und auch wollen. Berichte können nicht verordnet werden, sie müssen gewollt werden. Buchhaltung wird zu einem aktiven Partner der Teams, indem sie  Informationen so aufbereitet, dass sie verständlich und anwendbar sind. Dies führt zu einer stärkeren Einbindung der Buchhaltung in die operativen Abläufe und hilft dabei, Entscheidungen fundierter zu treffen.

Leistungskataloge und Wertschöpfungsberichte

Die dezentrale finanzielle Transparenz findet ihren Ausdruck durch die Wertschöpfungsberichte der Teams, in denen Eigenleistungen, Fremdleistungen anderer Teams und die Fremdleistungen vom Markt gegenübergestellt werden. Diese Berichte bieten eine klare Übersicht darüber, wie die Teams zur Gesamtwertschöpfung beitragen und welche Ressourcen dabei eingesetzt werden.

Ein Wertschöpfungsbericht - inspiriert vom Zellstrukturdesign  (Mehr dazu in den Quellen) - ist in mehrere Kategorien unterteilt. Zunächst werden die Eigenleistungen eines Teams dokumentiert: Welche Produkte oder Dienstleistungen wurden vom Team erbracht und wieviel Wert - monetär bewertet - wurde dadurch geschaffen? Anschließend werden die Fremdleistungen anderer Teams aufgeführt, die das Team in Anspruch genommen hat. Zuletzt folgt eine Übersicht der Fremdleistungen, die vom externen Markt bezogen wurden. Dieser strukturierte Überblick ermöglicht es, genau zu sehen, welche Teams eine Marge erwirtschaften, welche also mehr erwirtschaften, als sie verbrauchen, und welche Teams lediglich kostendeckend arbeiten.

Durch die Wertschöpfungsberichte wird nicht nur eine finanzielle Transparenz geschaffen, sondern auch ein stärkeres Bewusstsein für die eigene Leistung und die Abhängigkeiten zu anderen Teams. Teams, die Margen erwirtschaften, tragen besonders zur Profitabilität der Organisation bei, während kostendeckend arbeitende Teams ihre Effizienz steigern können, um ebenfalls zur Wertschöpfung beizutragen. Diese Berichte helfen dabei, innerhalb der Organisation eine Kultur der kontinuierlichen Verbesserung zu fördern.

Jedes Team im Unternehmen entwickelt zudem Leistungskataloge. Diese Leistungskataloge listen auf, welche Leistungen das Team anbietet und zu welchen Bedingungen. Der Aufbau der Leistungskataloge orientiert sich ebenfalls am Zellstrukturdesign. In einem Leistungskatalog sind die verschiedenen Dienstleistungen oder Produkte beschrieben, die das Team anderen Teams oder externen Kunden zur Verfügung stellt. Für jede Leistung sind die Qualitätsstandards, die Lieferbedingungen und die Kosten klar definiert. Dadurch entsteht eine transparente Grundlage, auf der andere Teams Entscheidungen darüber treffen können, welche Leistungen sie in Anspruch nehmen wollen.

Der Leistungskatalog dient nicht nur der Transparenz, sondern auch als Instrument zur Verbesserung der Zusammenarbeit. Teams können klar erkennen, welche Leistungen zu welchen Preisen angeboten werden, was die Verhandlungen und die Abstimmung untereinander erleichtert. Gleichzeitig schafft der Leistungskatalog eine Art Verpflichtung für das Team, die vereinbarten Leistungen in der definierten Qualität zu erbringen, was zu einer stärkeren Kundenorientierung innerhalb der Organisation führt.

Leistungskataloge sind dabei kurz. Die Leistungen die ein Team anbietet und die es bezieht sollten so zusammengefasst werden, dass diese 10 Leistungseinheiten nicht übersteigen. Wir wollen damit keine Bürokratie aufbauen, sondern Leistungsbewegungen transparent machen.

Finanzielle Transparenz muss konsistent sein - die Intransparenz ist es auch

Das hier Dargestellte bringt viele Vorteile. Es reduziert Verschwendung und verkürzt Entscheidungswege. Es macht Unternehmen schneller. Doch noch wichtiger und nicht vorhersagbar zu beziffern: Es aktiviert die Initiative der Menschen im Unternehmen. Ich habe es schon oft erlebt, dass Menschen auf dieser Grundlage ein Engagement und Unternehmergeist zeigten, den ich ihnen - Asche auf mein Haupt - nicht zugetraut hatte. Sie machten Vorschläge für die Reduktion von laufenden Ausgaben und kamen auf Ideen, die für Kunden und Unternehmen gleichermaßen von wirtschaftlichem Vorteil waren.

Doch ist die hier vorgestellte Änderung grundlegend. Es kommt einem Paradigmenwechsel gleich, der folgenreicher ist - etwa für die Idee von Führung und Steuerung - als dieser Text zu skizzieren in der Lage ist. Dieser grundlegend andere Ansatz braucht Konsequenz. Soll der bestehende Umgang mit Geld und Finanzinformationen überwunden werden, dann gelingt das nur mit aller Ernsthaftigkeit. Die Orientierung am Beta-Kodex zeigt, dass echte Selbstorganisation und dezentrale Entscheidungsfähigkeit nur erreicht werden, wenn die Spielregeln konsequent geändert werden. Die Teams werden nach den neuen Spielregeln spielen. Das Gesamtsystem Unternehmen profitiert. 

Ist diese Transparenz gefährlich?

Nicht selten wird argumentiert, dass es gefährlich sei, dezentral Transparenz über die Finanzen zu erzeugen. Mehr oder weniger verhohlen wird angenommen, dass Menschen in den Unternehmen mit den Informationen nicht sinnvoll umgehen könnten. Einige sehen drohende Überforderung, andere sehen sogar die Geheimhaltung gegenüber dem Wettbewerb und der Presse gefährdet. Die Annahme bleibt, dass das Unternehmen deutlich besser geführt werde, wenn nur eine Handvoll Menschen über die tatsächliche Situation des Unternehmens Bescheid wüsste.

Ich kann diese Sorgen verstehen. Wenn Sie den Menschen im Unternehmen nicht zutrauen, mit den Geschäftszahlen umzugehen – aus welcher Motivation heraus auch immer – lassen Sie es. Die hier skizzierten Vorteile sind mit dieser Annahme nicht erreichbar. Am Ende bleibt es eine Abwägung. Zu dieser Abwägung gehört, ob man sich die beschriebenen Vorteile vorstellen kann und wie man die Risiken bewertet.

Oft wird dabei jedoch der sogenannte "Negativity Bias" wirksam, der uns dazu bringt, negative Erwartungen und Erfahrungen überzubewerten. Ebenso spielt der "Availability Bias" eine Rolle: Die wenigen schlechten Beispiele, die wir kennen oder zu kennen glauben, bewerten wir überdeutlich. In der Regel passiert erstaunlich wenig Missbrauch. Doch das Gegenteil von Missbrauch - die normale Arbeit - fällt nicht auf. Folglich bemerken wir auch nicht, dass nichts Außergewöhnliches passiert. Unsere Wahrnehmung und damit unsere Bewertung sind verzerrt.

Dennoch: Ich möchte nicht überzeugen, ich argumentiere. Aus meiner Sicht überwiegen die Vorteile in einer dynamischen Welt, die eine hohe Anpassungs- und Entscheidungsgeschwindigkeit erfordert. Den Menschen kann man die Transparenz über Zahlen grundsätzlich zumuten.

Kontakt

Falls Du diese Gedanken vertiefen möchtest, kannst du mit mir in Verbindung treten. 

Vertiefende Quellen

  • Zellstrukturdesign: Organisationsdesign für Teamerfolg, Höchstleistung und Wertschöpfung im Flow - Niels Pfläging und Silke Hermann. https://amzn.to/4fexmoz 
  • Beta-Kodex, ein ganzheitliches Konzept zur Förderung selbstorganisierter und dezentraler Unternehmensstrukturen. - https://betacodex.org/
  • In jedem Unternehmen steckt ein besseres: Zeitorientierte Betriebswirtschaft mit dem Weichselbaum-System - Ernst Weichselbaum. https://amzn.to/3OMlmQe
  • Vertragshygiene statt Kostenmanagement | mit Niels Pfläging - Video Podcast auf Youtube - https://www.youtube.com/watch?v=b-2E17evH5A
  • Stefan Willuda — Die Praxis ohne Budgets: Ein Gedankenexperiment - Video Podcast auf Youtube https://www.youtube.com/watch?v=y4PLv5oOAu8
  • Beyond Budgeting Round Table, ein Netzwerk und Forum für Organisationen, die alternative Ansätze zu traditionellen Budgetierungsprozessen verfolgen. - https://bbrt.org/
  • Relative Ziele: Das schlüssige Performancesystem für alle - pragmatische Betriebswirtschaft, die ansteckt! - Niels Pfläging - https://amzn.to/4fexmoz 
  • Relative Ziele: Die Website zum Konzept: http://www.relativetargets.com

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